Werk

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

nun ist es keine ganz einfache Sache, selbst so vertraute Dinge wie die Bilder meines Stiefvaters angemessen zu würdigen und bewerten. Gerade was man jeden Tag gesehen hat, ist schon zur Gewohnheit geworden und wird nicht mehr so genau angeschaut.

Obwohl ich selber Malerei studierte, haben wir uns selten über Kunst unterhalten. Ich wollte mich nicht von dem alten Maler beeinflussen lassen und eigenständig sein. Nach dem Umzug aus der Villa Rumpf, und als er später durch die Krankheit immer schwächer wurde, nahm ich nicht mehr an, dass er noch viel Kraft zum arbeiten hätte.

Wie waren wir dann selber überrascht, als wir das Atelier aufräumten! Peter war immer sehr ordentlich beim Malen, aber einige Pinsel standen noch frisch im Terpentin. Und da standen diese Bilder, ganz andere als die Landschaften, die ich zuletzt von ihm gesehen habe…

Peter hat nicht viel gesprochen, seine Bilder sollten für ihn sprechen und für sich selbst, und das tun sie. In unterschiedlichen Sprachen und Höhen, über die Zeiten hinweg. Da, wo der Maler schwieg und schweigend bleibt, sprechen die Bilder weiter.

Peter war kein einfacher Mensch, er war viel zu bescheiden nach außen, und zu seiner Arbeit war er zu anspruchsvoll. Manchmal ließ er bedauern, zu spät sich ganz Malerei gewidmet zu haben. Zu mir meinte er immer wieder, ich müsse mehr arbeiten. Das war auch sein eigener Anspruch. Ich weiß nicht, wie viele Bilder er gemalt hat, ich denke, es dürften in die Tausend gehen. Bei vielen, die ich noch in Abbildung sehe, habe ich die Spur verloren, wahrscheinlich sind sie über Umkreis von Potsdam hinaus gewandert und haben ihre Reise durch die Wohnungswände begonnen. Andere wiederum sind vielleicht von einer Landschaft oder einer abstrakten Formation übermalt. So sind von manchen Phasen nur noch Bruchstücke übriggeblieben, etwa die 80er und 90er, die es wieder zusammen zu fügen galt.

Denn Kunst ist auch immer gelebtes Leben, gemeinsam verlebte Zeit. Die Bilder, die sich in unseren Köpfen einprägen, sind die, mit denen wir eigene Erfahrungen verbinden können. Für mich waren Peters Bilder in den 90ern prägend, als ich aus Vietnam in die Villa Rumpf einzog. Für viele seiner Freunde und Kollegen waren es die naiven Bilder der 60er bis 80er, als sie alle jung waren und dort am Heiligen See ihre Feste feierten. Jede Zeit hat ihr eigenes Tempo, am Anfang laut und schnell, später langsamer, aber klarer. So auch die Bilder. Erblickt der Betrachter dann Veränderungen in den Bildern des Künstlers, ganze Brüche, mag ihn dies manchmal befremden, hängt er doch an das Liebgewonnene. Der Künstler, der Mensch, hat sich schließlich gewandelt, und so erzählen die Bilder eigentlich von der Wanderung seines Blickes.

Lange, lange Zeit war es die Villa Rumpf, auf die sich der Blick richtete, immer wieder richtete. Sie war das Epizentrum langer Jahre von Peters Kunst. Denn Peter war ein tiefe Wurzeln schlagender Mensch, wie sein Garten mit seinen Steinen und Bonsais. Meine Mutter sagte gern, dass seine Sturheit von seinem Element herkäme, der Erde. Erde, Pflanzen, bewegen sich nicht, jagen nicht, sie bleiben auf dem Fleck, schlagen dort Wurzeln und gedeihen. Dort, am Heiligen See, war die Erde gut.

Doch Menschen sind keine Pflanzen, und Pflanzen sind vor Menschen nicht sicher. Und als wir endlich fortziehen musste, gruben wir Löcher und nahmen soviel von unserem Garten mit wie wir konnten. Die Erde in Neufahrland ist nicht so dunkel wie am Heiligen See, eher viel zu sandig, eine Menge Stein und Schutt wurde dort aufgeschüttet, der Grundwasserspiegel tiefer, Gießwasser wurde nicht mehr aus dem See, sondern kam aus dem Wasserhahn. Und da wir eine Menge Pflanzen mitgenommen haben, mussten wir viel gießen, denn im Sommer strahlt die Sonne prall auf den kleinen Garten, denn noch müssen wir eine Weile warten, bis ein Baum groß genug ist, um Schatten zu spenden. Aber der Garten sieht jetzt gut aus, er wird jedes Jahr besser, auch hier konnten wir wieder Wurzeln schlagen.

Als wir dann umzogen, da habe ich mir ernsthafte Sorgen gemacht. Wie würden Peters Bilder jetzt aussehen? Hier, mitten in der Vorstadtsiedlung, wo einem die Sonne reinknallt, ohne den Schatten der großen, ohne den düsteren Flur, die Säulen, den See, dieses vergangene wilde Biotop. Tatsächlich tauchte die Villa seitdem nie wieder auf in seinen Bildern.

Dafür suchte sich sein Blick nun andere Fixpunkte. Nach oben hin, zum Himmel. In sich hinein zu den fernen Weiten im Gedächtnis gebliebener Landschaften. Es sind dramatische Schauspiele zu sehen in den Wolkenbildern, „Vor dem Sturm“ oder „Regen über die Autobahn“ oder der Ausklang, „Nach dem Regen“. Mag sich von diesem Wechsel der Natur in den Bilder sich der Betrachter einen Reim daraus bilden, was der Künstler in seinem Bonsaigarten damit sagen wollte. In den Landschaften vertrautes norddeutsches Flachland, am Horizont dem Himmel sehr nah. Und immer wieder ein Schielen zu fernen Orten, Armenien, Meer, manchmal wieder Vietnam. Keine einfachen lieblichen Landschaftsbilder, auch wenn die Farben oft hell sind, so sind genauso viele auch düster und grau, aufgewirbelt, dramatisch insgesamt.

Dann die letzten Bilder. Die frühesten davon sind auf 2008 datiert. Keine losen Experimente, eine ganze Reihe. Wie haben sie mich überrascht. Zum ersten Mal Worte. Buchstabe. Kleine Symbole. Peters altes Strichmännchen. Und immer wieder eine Uhr. Das Abzählen der Zeit. Keine Motive mehr, keine Villa, keine jungen Frauen, Saufgelage oder weite Landschaften. Nur noch Bild. Symbol. Sprache. Der Maler ist endlich beim Bild angelangt. Das letzte stand noch auf der Staffelei und hatte schon einen Titel, „China Blau“, der Pinsel mit der blauen Farbe war noch frisch. Was läßt sich dazu noch mehr sagen?

Pham